7. Juni 2024

Den Wald mit allen Sinnen erleben

NABU und Habila GmbH gemeinsam im Schönbuch

Teilnehmede machen sich mit den Pflanzen des Waldes vertraut. - Foto: NABU Neckar-Alb
Teilnehmede machen sich mit den Pflanzen des Waldes vertraut. - Foto: NABU Neckar-Alb

Vom "Marktplatz" zur Waldführung

 Tübingen – Am vergangenen Mittwoch, den 5. Juni, führte Tamara Ayoub, Leiterin der NABU-Regionalstelle Neckar-Alb, neugierige Waldbesucherinnen und –besucher durch den Schönbuch. Neun Klienten und Klientinnen der Habila GmbH, sowie ihre zwei Begleitungen, hatten sich im Vorfeld für die Exkursion angemeldet. Die Einrichtung am Tübinger Neckarbogen bietet Menschen mit Behinderung Teilhabe und Assistenz auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt. „Das Interesse an der Waldexkursion war groß, die Plätze direkt belegt“, freut sich Susanne Döffinger, Jobcoach bei der Habila. Sie war es auch, die im März 2023 beim “Markt für Gute Geschäfte“ die Vereinbarung zur Waldführung mit dem NABU getroffen hatte (das Tagblatt berichtete; siehe Infobox). Hier einigten sich Döffinger und Ayoub auf eine Waldführung im Gegenzug für Unterstützung beim Einkuvertieren von mehr als eintausend Mitgliedereinladungen der NABU-Gruppe Tübingen. „Das nimmt unseren ehrenamtlichen NABU-Aktiven einiges ab“, sagt Tamara Ayoub. Auch Susanne Döffinger ist zufrieden: „Im Kuvertieren sind unsere Klienten bereits geübt, das ging ruck zuck.“

„Die Berührung mit der Natur tut uns allen gut“

Schnuppern und Zusammenstellen: Teilnehmende kreiren eigene Teemischungen und Kräutersalz. - Foto: NABU Neckar-Alb
Schnuppern und Zusammenstellen: Teilnehmende kreiren eigene Teemischungen und Kräutersalz. - Foto: NABU Neckar-Alb

Nun folgte das vereinbarte Walderlebnis. Am frühen Mittwochnachmittag begrüßte Tamara Ayoub die Habila-Gruppe am Wanderparkplatz Saurucken. Unterstützt wurde sie von Dominik Ehrhard, ein guter Freund der Tübinger Biologin. Als angehender Heilerziehungspfleger bei der Lebenshilfe Pforzheim hat er bereits Erfahrung und wirkte gerne mit. „Es ist wichtig, dass solche Ausflüge stattfinden. Die Berührung mit der Natur tut uns allen gut. Dabei behilflich zu sein, das erlebbar zu machen, ist eine schöne Aufgabe“, erzählt er. Nach einer Vorstellungsrunde startete dann der gemeinsame Spaziergang in den grün leuchtenden Schönbuch.

 

Walderlebnis und Achtsamkeit

Nach einigen Minuten bittet Ayoub die Gruppe inne zu halten. Mit einer Klangschale erzeugt sie einen leisen, hellen Ton. Es kehrt Ruhe ein und die Geräusche des Waldes scheinen noch intensiver als zuvor. Wer möchte, schließt die Augen und „kommt ganz im Wald an.“ Die Übung soll entschleunigend wirken und die Wahrnehmung schärfen. „Was könnt ihr hören?“, fragt Ayoub. „Den Bach“, „die Vögel“, „Blätterrauschen“ und „ein Flugzeug“ wird ihr geantwortet.

 

 

EIn Zwölfender-Hirsch im Wildgehege. - Foto: NABU Neckar-Alb
EIn Zwölfender-Hirsch im Wildgehege. - Foto: NABU Neckar-Alb

Imposante Tierschau am Wildgehege

Dann geht es weiter in Richtung Wildtierruhezone. Die Wildschweine zeigen sich noch scheu. Beim Rotwildgehege hat die Gruppe mehr Glück: Ein 12-Ender präsentiert sich stolz. Der Hirsch imponiert nicht nur den Hirschkühen, die ihn begleiten. Ebenso fasziniert ist die Besuchergruppe und verweilt bei den Tieren.

 

Nur solche Wildpflanzen essen, die man sicher erkennen kann!

Während die einen noch am Freigehege nach Dickkopfschafen Ausschau halten, haben die ersten bereits am vorbereiteten „Kräutertisch“ beim Saurucken-Spielplatz Platz genommen. Hier haben Ayoub und Ehrhard eine Reihe essbarer Wildkräuter ausgelegt: Himbeerblätter, Erdbeerblätter, Kamillenblüten, Spitz-Wegerich, Schafgarbe, Rotkleeblüten und – mit Handschuhen „entwaffnete“ – Brennnesselblätter. Diese hatten sie zuvor im Schönbuch gesammelt. Drei Teilnehmerinnen schneiden nun noch Holunder-Blüten von einem üppig bestückten Strauch. Dabei erklärt Ayoub, dass lediglich eine Hand voll Frischkräuter entnommen werden sollte und nur dort, wo reichlich vorkommt. Auch sollte man nur solche Wildpflanzen essen, die man sicher erkennen kann. „Das ist eine Knoblauchsrauke“, sagt Teilnehmer Steffen prompt und zeigt auf eine unscheinbare Pflanze am Wegesrand. „Wow, du bist ja ein echter Profi!“, freut sich die NABU-Mitarbeiterin.

 

Wilde Kräuterküche, die überzeugt!

Teilnehmer Leon präsentiert seine Kräutermischung. - Foto: NABU Neckar-Alb
Teilnehmer Leon präsentiert seine Kräutermischung. - Foto: NABU Neckar-Alb

Aus der „frischen Beute“ setzen zwei Teilnehmer einen Tee an. Das heiße Wasser hatte die Habila in Thermoskannen mitgebracht. Dann mischen die Waldbesucher unter Anleitung eigenes Kräutersalz sowie Teemischungen aus getrockneten Kräutern, die der NABU mitgebracht hatte. Hier finden sich auch Kamille, Brennnessel und Schafgarbe wieder. Dazu gesellen sich: Salbei, Zitronenmelisse, Minze, Wilder Majoran, Thymian, Ringelblumenblüten, Kornblume und Rose. Damit füllten die Habila-Klienten nun leere Teebeutel, die dann mit einer Schnur verschlossen werden. Der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. Nach Herzenslaune wurde gemischt und gemörsert. Dabei wird der Kräuterduft noch kräftiger, wenn man sie in Mörserschalen mit dem Stößel zerreibt. „Ich habe von allem etwas genommen für meinen Tee!“, sagt Teilnehmerin Farina mit sichtbarer Vorfreude auf die Verköstigung ihres Tees. Diese folgt jedoch erst zu Hause. Denn zunächst gab es den aus frischen Kräutern angesetzten Sud zur Kostprobe. Wie da wohl das Urteil ausfällt? Das Spektrum der Rückmeldungen reicht von „Es war okay“ bis „Ich möchte noch mehr haben“. Immerhin, die Waldgaben können überzeugen. Auch das selbstgemachte Kräutersalz wird direkt probiert. Die NABU-Mitarbeiterin teilt Brotscheiben aus, die Kräuterköche und –köchinnen streuen darauf ihre Werke. Hier herrscht Einigkeit: Es schmeckt! Ihre Kräutersalzgläschen und befüllten Teebeutel beschriften und bemalen sie noch, bevor sie diese verstauen und mitnehmen.

„Wenn wir unseren Blickwinkel ändern…“

Zurück am Parkplatz folgt eine letzte Übung: Dominik Ehrhard teilt kleine Handspiegel aus. Jeder schaut in seinen Spiegel und sieht: Die Laubdecke, die noch über den geschotterten Stellplatz ragt. Das Blätterdach in der Hand kommentiert Ayoub mit einem Gedanken: „Wenn wir unseren Blickwinkel ändern, sehen wir mehr, als man denkt.“ Die Klangschale ertönt noch einmal. Auch Susanne Döffinger verabschiedet sich und erkundigt sich bei ihren Habila-Klienten: „Was hat euch heute am besten gefallen?“ - „Eigentlich alles, aber der Hirsch war toll. Ich mag Tiere! Und auch die Kräuter, das hat gut geschmeckt“, sagt Teilnehmerin Aylin, sichtlich begeistert.

 

Susanne Döffinger resümiert: „Ein schönes Gefühl unsere Klienten so erfüllt zu sehen. Das hat sich wirklich gelohnt. Gut, dass wir damals am Markt [für Gute Geschäfte] teilgenommen haben und es dann auch so prima geklappt hat.“

 


Weitere Eindrücke:

Fotos: NABU Neckar-Alb


Hintergrund der Aktion:

„Markt für Gute Geschäfte“ - Ganz ohne Geld

 

Am 17. März 2023 fand in der Alten Aula Tübingen zum zweiten Mal der „Marktplatz für gute Geschäfte“ statt. Unternehmen und Gemeinnützige trafen hier aufeinander, um gemeinsam in’s Geschäft zu kommen. Jedoch ausschließlich als Tausch und ohne Geld.

 

Veranstalter des Formats sind die Stadt Tübingen und das Weltethos-Institut an der Universität Tübingen. Die Vereinbarung zwischen NABU und Habila war damals die erste des Tages. Wie alle anderen wurde auch sie notariell beglaubigt und ganz offiziell mit einem Vereinbarungsvertrag abgestempelt. Der dritte Markt findet übrigens am 25. Oktober 2024 statt. Auch hier können gemeinnützige Organisationen und Unternehmen wieder für zwei Stunden die ungewöhnliche Begegnungsart nutzen, um miteinander in’s Gespräch zu kommen und voneinander zu profitieren.

 

Schwäbisches Tagblatt, März 2023
Schwäbisches Tagblatt, März 2023

Siehe auch unser Bericht Nistkästen aus alten Skateboards